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Aus gegebenen Anlass, weisen wir noch einmal auf unsere Stellungnahme vom Beginn der Saison hin!

Der kommende Samstag scheint so banal und normal zu sein, wie jeder andere Samstag auch. Menschen schleppen sich in die Supermärkte, um ihre Wochenendeinkäufe zu machen, manche verarbeiten zerknirscht und zerstört ihren anstrengenden Vortag, die Kids genießen weiterhin ihre Ferien und in vielen Stadien Sachsens beginnt wieder der Ball zu rollen. Auch im Alfred-Kunze-Sportpark wird, wenn der große Zeiger der Uhr sich immer weiter auf um Drei zubewegt, reges Treiben herrschen. Endlich wieder.

Die Ankunft in Leutzsch startet mit einem aufgeregten Suchen nach Geld. Hosentasche oder doch im Portmonee? Irgendwo muss es doch sein. Gefunden! Die Auswahl an der Kasse ist groß, vor allem im Vergleich zu den letzten drei Jahren: Tribüne, Dammsitz, Stehplatz. Die Entscheidung fällt natürlich auf Letzteres und vorbei an den Ordnern geht es auf die steinernen Stufen des Norddamms. Hier direkt hinter dem Tor will ich stehen, dort von wo vor Jahren die Stimmung ausging und von wo dies auch heute wieder der Fall sein soll. Von hier sehe ich wie auf dem Rasen die Spielvorbereitung läuft. Es gilt die letzten Kreidestriche zu markieren, die Tornetze zu befestigen und die Eckfahnen einzustecken. Die ersten Spieler begrüßen uns und laufen sich warm. Das Treiben zwischen dem Unkraut auf den Stufen und Fahnenstangen auf dem Boden ist wild – ungeordnete Ordnung. Auch hier laufen Vorbereitungen auf die folgenden neunzig Minuten. Der Zaun wird zugehangen und neben mir wird Stoff auf die riesigen Fahnenstangen gezogen. Irgendwo riecht es auch nach Farbe, denn ein paar Spruchbänder müssen noch gemalt werden.

Zehn Minuten vor dem Anpfiff, ertönt eine erste Ansage durch das Megaphone. Zum ersten Mal am heutigen Tage gehen verschwitzte Arme nach oben und folgen dem rhythmischen Klang der Trommel, schlagen immer wieder ineinander, immer schneller, bis alle zusammen laut schreien: „CHEMIE, CHEMIE, NUR NOCH CHEMIE!“. In meinem Kopf hämmert es und ich kapiere endlich was los ist. Das ist kein banaler Samstag, das ist die BSG Chemie Leipzig in Leutzsch, in ihrem Stadion, im Alfred-Kunze-Sportpark. Die BSG ist wieder da. Endlich wieder.

Emotionen sind immer schwer in Worte zu fassen. Sie sind nicht greifbar und manchmal hat man den Eindruck, dass jedes Wort darüber unwürdig wäre – unfähig das zu erfassen und zu beschreiben, was im Kopf vorgeht. So ging es uns in den letzten Wochen, die, nach dem Ableben des FC Sachsen Leipzig, geprägt waren von Gesprächen, von Pressemeldungen, von Freude aber auch von Ängsten und Sorgen, von taktierenden Schritten, von Streit und von Unsicherheit. Einfach Chaos.

Es wäre gelogen zu sagen, dass alles in den letzten drei Jahren so lief, wie wir es uns vorgestellt haben. Dies wäre eine unnötig pathetische Überhöhung. Dennoch lief es eben und die BSG entwickelte sich zu etwas Eigenem. Zu einem Verein mit Ecken und Kanten, aber eben auch zu einem mit Charakter und mit etwas Einzigartigem. Verein – Spieler – Ultras – Fans. Alles war irgendwie eins und bereits nach Monaten zusammen gewachsen. Das zeigen die Tränen und Emotionen im letzten Spiel der vergangenen Saison, in dem all das, was uns ausmacht und ausgemacht hat, zu explodieren schien. Davon Abschied zu nehmen fällt schwer. Umso mehr, wenn der nächste Schritt ein Schritt ins Ungewisse zu sein scheint.

Nun heißt es wieder überregional zu spielen, mit neuen Köpfen am Ruder, mit neuen Köpfen auf dem Spielfeld und mit neuen Köpfen neben einem im Stadion. Dieser Umbruch fällt nicht leicht und man muss offen sagen, dass wir den Schritt der Übernahme des Spielrechts der ersten Mannschaft von Blau-Weiß kritisch gesehen haben und dies auch jetzt noch tun. Kritisch in seiner Art und Weise, kritisch im Umgang nach Innen und Außen und kritisch im Umgang mit den Spielern, die drei Jahre das Trikot der BSG getragen und viel für das Fünfeck geleistet haben. Hier wurde vieles falsch und nicht alles richtig gemacht. Neben der Art und Weise der zweifelhaften Kommunikation gab es noch etliche Punkte und Gedanken, die für Bauchschmerzen und Sorgenfalten sorgten und die Zweifel über den weiteren Weg aufkommen ließen. Viele, wenn auch nicht alle, konnten im Laufe zahlreicher Treffen ausgeräumt werden. Dies passierte, das war uns besonders wichtig, auf Augenhöhe und ohne, dass wir das Gefühl bekommen haben, man wolle uns nicht mitnehmen. Vor allem vom designierten Vorstand. Das gab und gibt Sicherheit, auch wenn natürlich immer Differenzen zwischen den Werten der Ultras und dem geordneten Spielbetrieb im Jahre 2011 auftreten werden.

Dabei sind wir uns bewusst, welche Verantwortung wir für den Fußball in Leutzsch haben, besonders natürlich für den Namen BSG CHEMIE LEIPZIG. Aber wir wissen gleichzeitig auch, dass wir es waren, die den Namen in den letzten 10 Jahren wirklich aktiv am Leben gehalten haben. Mit Unterstützung einiger anderer, aber immer als ein, wenn nicht sogar der Hauptakteur. Diesem Engagement sind wir verpflichtet als Gestalter der BSG Chemie, aber auch als Ultras.

So werden wir auch weiterhin tragende Aufgaben innerhalb des Vereins übernehmen und diese so gut es eben geht, erfüllen. Dass wir dabei nicht fehlerfrei agieren werden, ist klar, aber wir waren und sind bereit, alles für die BSG zu geben. Nicht mehr und nicht weniger. Auch darum werden wir alle neuen Entwicklungen und Personen kritisch überprüfen und hinterfragen, wenn dies notwendig sein sollte. Menschen, die nun wieder in den Verein oder sogar Posten drängen und die direkt oder indirekt verantwortlich sind für den Untergang des FC Sachsen und damit für unseren Schritt die BSG wieder in den Spielbetrieb zu bringen, Leute die nicht mit dem Namen BSG Chemie in Einklang zu bringen sind oder die niedere Beweggründe treiben, werden wir nicht dulden oder akzeptieren. Weder im Verein und in dessen Umfeld noch auf der anstehenden Mitgliederversammlung – sie werden auf allen Ebenen bekämpft. Wer uns Fans und Ultras nicht als Fundament und Stütze des Vereins sieht und gedenkt, uns von oben herab zu behandeln, wer uns belügt oder belogen hat, wird keine Zukunft in Leutzsch haben.

Dies beinhaltet auch die sogenannte „SG Leipzig Leutzsch“. Wurden die Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung mit dem FC Sachsen in unseren Reihen zwar skeptisch begleitet, aber dennoch Gespräche als notwendig angesehen, gibt es mit diesem neuen Konstrukt keinerlei Grundlagen für Verhandlungen, die über die Verwaltung unseres Sportparks hinausgehen. Das zeigten auch die vergangenen Wochen, die gekennzeichnet waren von Gängeleien und Sticheleien von Seiten des Hauptpächters und unterstreicht, dass es mit uns nicht zu einem Zusammengehen kommen wird.

Wenn die Spieler am Samstag mit dem Wappen der BSG auf der Brust auflaufen werden, dann erhalten sie und der Trainer unsere komplette Unterstützung. Natürlich fällt es uns schwer die Spieler, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben, mit denen wir eine wahrliche und sonst kaum zu findende Einheit bildeten, nicht mehr in diesem Umfang begleiten zu können. Ebenso regierte zunächst Skepsis im Bezug auf die Spieler, die von Blau Weiß zu uns stießen. Heute, kurz vor Beginn der Pflichtspiele, dominiert ein positiver Eindruck, den die neue Mannschaft und ihr Trainer hinterlässt – durch Gespräche, aber auch durch Leistung und Taten. Dass es auch hier ein immer wieder erneuerndes, kritisches Hinterfragen geben wird, ist mit Sicherheit notwendig. Genauso aber die Forderung nach Zeit für das Team, sich zu finden und Schritt für Schritt, ohne Allüren und Blicke, nach oben mit uns zusammenzuwachsen.

Unseren Freunden der Stadtklassemannschaft werden wir, wenn auch nicht mehr in der Form der letzten Jahre, weiterhin zur Seite stehen und ihnen auch regelmäßig die Aufmerksamkeit schenken, die sie sich im Laufe der Jahre redlich erarbeitet haben. Wir freuen uns, viele Gesichter regelmäßig wiederzusehen, sowohl auf dem Rasen, als auch auf den Rängen und damit zwischen uns.

Der Spagat zwischen dem mitgestalten eines Vereins und dem Leben als Ultras ist nicht immer einfach. Doch genauso, wie wir dazu stehen die BSG Chemie auf allen Ebenen voranzutreiben, stehen wir ebenso zu unseren Idealen als Ultras. Diesem großen Wort gerecht zu werden, ist eine Aufgabe, die Konsequenz genauso erfordert wie ein Maß an Radikalität, außerhalb der durch Öffentlichkeit und Gesellschaft auferlegten Normen und Wünsche. Die Kurve hat ihre eigenen Gesetze, die immer wieder neu geschrieben werden müssen – von allen in ihr. Sie beinhalten Solidarität und Freundschaft ebenso wie Selbstregulierung und das Eintreten für die gemeinsame Vorstellung. Diese Vorstellung beinhaltet für uns alle kreativen Facetten der Kultur der Tribünen, denn im Stadion ist genug Platz, um die eigene Ansicht eines Stadiontages, ausgenommen Rassismus und Faschismus, Wirklichkeit werden zu lassen. Auch dafür stehen wir ein. Wem dies nicht passt und wer sich Gefahren herbei halluziniert oder uns starrsinnig einzugrenzen versucht, ist für uns weder ein Gesprächs- noch ein Verhandlungspartner. Dann haben wir, wie an anderer Stelle zu lesen war, eben kein Interesse an Gesprächen.

In der kommenden Saison freuen wir uns auf alte und neue Gesichter. Es warten auf uns Siege und Niederlagen. Stimmungsreiche Spiele, nach denen wir heiser sein werden und Tage, nach denen wir die Köpfe hängen lassen werden. Wir werden uns weiterhin umarmen und streiten, singen und diskutieren. Als Ultras werden wir unseren Idealen folgen und als BSG Chemie für unser Leitbild kämpfen – so konsequent wie es angemessen ist. Immer in den Köpfen: Niemand wie Wir!

Diablos Leutzsch, 3. August 2011